
THE RICE SOCIETY Beginnen wir mit Ihnen und Ihrem Werdegang. Sie tun so viele erstaunliche und wichtige Dinge. Können Sie uns erzählen, wie Sie dazu gekommen sind?
KIM HOSS Ich wollte mich in meiner Berufswahl nie einschränken lassen. Während meines Designstudiums gründete ich meine eigene Band, an den Wochenenden tanzte und sang ich auf der Bühne und verdiente nebenbei als Maskottchen (ich verwandelte mich in verschiedene Tiere: Kuh, Affe, Bär, Löwe und Hase) Geld. Strenge Routinen haben mich schon immer schnell gelangweilt, und ich könnte mir nie vorstellen, eine ganze Woche lang dasselbe zu tun. Heute mache ich einfach das, was ich liebe, ich bin eine One-Woman-Show: Grafikdesign, Illustration, Video- und Podcast-Produktion, Fotografie, Gesang, Schauspielerei. Ich dachte immer, ich müsste mich auf EINE Sache konzentrieren und sie wie andere machen. Doch das muss ich gar nicht.
TRS Können Sie uns drei wichtige Fakten über sich oder Ihre Persönlichkeit verraten?
KH 1. Ich lebe und arbeite sehr intuitiv – andere halten das oft für chaotisch oder faul, aber ich habe gemerkt, dass ich so am glücklichsten und kreativsten sein kann. Ich nutze meine produktiven Phasen und ruhe mich in unproduktiven aus. Meine eigenen Batterien zu schätzen und zu pflegen, war eine sehr wichtige Erkenntnis der letzten zehn Jahre.
2. Mich interessiert nicht, wie Ihnen das Wetter heute gefallen hat oder wie Ihr Salat zum Mittagessen geschmeckt hat – mich interessiert, wer Sie sind und was Sie beim Warten an der Salattheke gefühlt und gedacht haben.
3. Ich kann Menschen schnell durchschauen und hinter ihre Fassade blicken. Das hat schon viele abgeschreckt, aber leider kann ich es nicht ändern :D
TRS: Können Sie uns von einem persönlichen Moment oder Erlebnis erzählen, das auf Ihrem Weg zur Selbstliebe und Akzeptanz eine Rolle gespielt hat?
KH Mit 30 begann ich, meinen Konsum und meine Entscheidungen als Frau zu hinterfragen: Warum rasiere ich mir zum Beispiel jeden Tag die Beine? Warum gebe ich Geld für Kosmetik aus? Was ist überhaupt in diesen Kosmetika enthalten? Für wen mache ich das alles? Warum war ich immer unzufrieden mit mir und meinem Aussehen? Ich wollte meine Zeit nicht damit verschwenden, ewig jung und sexy auszusehen, sondern mein Geld lieber in mich und meine Träume investieren. Was ist denn überhaupt sexy und wer bestimmt, was als sexy gilt? Diese Reise, weg von gesellschaftlichen Erwartungen, weg vom „männlichen Blick“, war nie einfach, denn da waren all diese einschränkenden Überzeugungen, die ich praktisch aus meinem System verbannen musste – Überzeugungen, die mich hemmten! Mit 34, mitten in meinem Heilungsprozess, erfuhr ich außerdem, dass ich neurodivergent bin, und plötzlich ergab alles in meinem Leben viel mehr Sinn! Seitdem kann ich mit viel mehr Leichtigkeit und einem neu gewonnenen Selbstvertrauen durch die Welt gehen.
TRS: Welche Hauptbotschaften/Themen möchten Sie mit dem Podcast „Herz und Sack“ vermitteln?
KH Mit dem Podcast Herz und Sack haben wir einen geschützten Raum geschaffen, in dem wir laut aussprechen, was uns als Frauen Ende 30 beschäftigt und aufregt. Wir nehmen die Zuhörerinnen mit auf unsere Dating-Geschichten, teilen unsere mentalen Kämpfe und Erfahrungen in einer patriarchalischen Gesellschaft, wir wachsen und scheitern, wir hören den Erfahrungen anderer zu und versuchen zu zeigen, dass es immer gut ist, miteinander über seine Probleme zu sprechen. Wir sind so unglaublich toll und wunderbar, aber oft erinnern wir uns gar nicht daran, weil uns so viele Jahre lang eingeredet wurde, wir seien zu viel, zu laut, zu ungeschickt, zu wild, zu freizügig, zu haarig, zu hysterisch, zu emotional.
TRS: Wie eng stehen Sie Ihrer Community gegenüber und welches Feedback oder welche Ergebnisse erhalten Sie von ihr?
KH Kollektive Nähe – auch wenn sie nur digital besteht – kann so viel Schönes hervorbringen! Wir inspirieren und lernen voneinander, wir sehen und verstehen uns. Zu lesen, dass meine Musik jemandem geholfen hat, ist immer noch das schönste Kompliment, das ich mir wünschen kann. Ich bin immer sehr gerührt, wenn mir Leute schreiben und mir sagen, dass sie sich gesehen fühlten und ich sie inspiriert habe, sich selbst besser kennenzulernen und wieder für sich selbst einzustehen. Wir sind nicht allein!
TRS: Welchen Rat würden Sie Menschen geben, die unkonventionelle Wege gehen möchten, aber Angst haben, insbesondere angesichts gesellschaftlicher Erwartungen?
KH Unkonventionell zu leben bedeutet immer, aus der eigenen Komfortzone auszubrechen. Das kann sich oft ziemlich unangenehm anfühlen, vor allem, weil man andere enttäuscht, verängstigt oder verwirrt! Es wird immer wieder unangenehm sein, aber nur so kann man wachsen. Man kann sich entscheiden, es allen um einen herum recht zu machen und sich in ein System einzufügen, das Individualität ablehnt und Unkonventionelles diskriminiert. Man kann sich aber auch entscheiden, sich selbst zu finden und sich selbst treu zu bleiben, egal, was andere denken. Ich war in so vielen Situationen, in denen ich mich gefragt habe: „Soll ich das jetzt wirklich tun/sagen? Was werden sie denken?“ Und jedes Mal, wenn ich es tat/sagte, fühlte es sich gut an, weil ich mir selbst treu geblieben bin. Dafür wird man immer belohnt.
TRS Können Sie uns die Geschichte der Gründung eines Sirens Collective erzählen?
KH Irgendwann im Leben einer Frau akzeptiert man, ständig als Objekt betrachtet, sexualisiert, nicht ernst genommen und vielleicht sogar regelmäßig belästigt oder angegriffen zu werden. Sich zu wehren lohnt sich kaum, unsere Geschichten werden sowieso oft nicht geglaubt. Wie vieles andere wollte auch ich das nicht mehr einfach hinnehmen. Ich wollte wissen: Wie viele nicht gemeldete Fälle sexueller Gewalt gegen uns – verbal, digital, häuslich, emotional – gibt es und wie bringen wir Licht ins Dunkel? Lise van Wersch und ich haben 2022 THE SIRENS COLLECTIVE gegründet – einen Ort, an dem wir Erfahrungen sammeln und archivieren, um deutlich zu machen, wie groß das Problem ist. Im Online-Archiv www.thesirenscollective.com zeigen wir alles; die gemeldeten, aber vor allem die nicht gemeldeten Übergriffe.
Wir erforschen Orte, von denen es wehtut, zu erzählen, zuzuhören und zu verändern, aber auch Orte, die sich verändern müssen. Wir sind laut.
Wir sind Sirenen.
In unserem Podcast THE SIRENS COLLECTIVE laden wir alle Betroffenen sexualisierter Gewalt ein und bieten ihnen einen Raum, ihre Erfahrungen zu teilen und anderen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind.
TRS: Das Sirens Collective ist eine faszinierende und wirkungsvolle Initiative. Aber welche weiteren Maßnahmen können Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um das Bewusstsein für sexuelle Belästigung zu schärfen?
KH Sprich! Sprich über die Dinge, die dir auffallen! Auf der Straße, in der Bar, in der Bahn, zu Hause, im Club, überall! Wir dürfen immer laut sprechen und sagen, wenn uns etwas nicht gut tut. Wir haben eine Stimme und dürfen sie benutzen. Wenn wir nichts sagen, wissen andere nicht, was wir erleben. Sprich mit deinen Kindern über Körpersprache, Gefühle und Einwilligung!
TRS: Sie sind an so vielen Projekten beteiligt, aber ich frage mich immer noch, ob noch weitere Projekte in Planung sind?
KH Ich arbeite gerade an zwei Projekten: einem neuen Podcast mit Kindern und einer kleinen Capsule Collection mit einem Modelabel – beides wird Ende des Jahres für schöne Gefühle sorgen! Außerdem durfte ich eine kleine Rolle in einer Serie über Sexualität und Liebe spielen, die im Frühjahr 2024 erscheinen wird. Ich bin offen und gespannt, was das Universum als Nächstes für mich bereithält!
Ira, veröffentlicht im Februar 2024